"RÜCKSCHAU" VON WOLFGANG STIFTER

Der Maler, Grafiker und ehem. Rektor der Linzer Kunstuniversität, Wolfgang Stifer, spricht über Kunst, die ihn prägte, noch immer fasziniert, Vorlieben, die sich im Laufe der Zeit geändert haben und neue, mutige Kunst aus Österreich.

RÜCKSCHAU VON WOLFGANG STIFTER


Solange ich denken kann, bin ich immer Maler gewesen, fasziniert von den Farben, ihrer Vielfalt und ihrer Leuchtkraft, und Zeichner, der mit der Linie die ganze Welt beschreibt. Schon in meiner Jugend kannte ich „Knaur’s Lexikon der Modernen Kunst“ in- und auswendig, und über meinem Bett hing eine Reproduktion von Matisse.
Meine Vorlieben haben sich natürlich mehrmals gewandelt, und ich mache bis heute keinen Unterschied zwischen historischer, moderner und/oder zeitgenössischer Kunst. Einen bleibenden Eindruck machen daher nach wie vor „Die Heimkehr der Jäger“ von Bruegel, diese werden auch regelmäßig besucht, wenn sich das „Kunsthistorische“ in der Nähe befindet, oder die „Dame mit dem Hermelin“ von Leonardo (sie residiert leider weit weg in Krakau oder inzwischen in Warschau) und die Malerei von Max Beckmann: Die Wucht und die Dichte seiner Malerei fasziniert mich jedesmal, seine Bilder zählen immer zu den Highlights jeder Ausstellung. Zuletzt sah ich ein Original im Lentos anlässlich der Ausstellung „Rabenmütter“. Allein dieses einen Bildes wegen hat sich der Besuch der Ausstellung gelohnt, denn der Rest war eher belanglos.
In den letzten Jahren habe ich bei meinen Vorlieben die Schwermut eines Antoni Tàpies gegen die Leichtigkeit und malerische Freiheit eines Cy Twombly getauscht, dessen Lepanto-Zyklus wir demnächst im Museum Brandhorst in München in Lokalaugenschein nehmen werden. Von Tàpies gibt es sogar eine Lithografie im Familienbesitz, die wir im Tauschweg erworben haben. Leider zählen die meisten Originale, die man besitzen möchte zur Kategorie „unerschwinglich“! Ich habe einmal gemeinsam mit Eduardo Chillida in Segovia ausstellen dürfen, ein angepeilter Werktausch ging daneben, da eine Druckgrafik Chillidas das Zehnfache eines Ölbildes aus meiner dort ausgestellten Werkserie kostete. Gerne hätte ich auch einen der klassischen Bronzeköpfe oder Bronzestelen von Ioannis Avramidis, der an der Akademie in Wien mein Lehrer im Abendakt war, und dessen Werk in so unvergleichlicher Weise als Ruhepol in einer hektischen Zeit wirkt und wohlproportionierte Harmonie verströmt.


Es ist ganz wesentlich, Kunstwerke als Original in Augenschein zu nehmen. Ich erinnere mich, dass wir der „Guernica“ mehrfach nachgereist sind, weil wir sie immer im falschen Museum vermutet haben, aber es hat sich ausgezahlt: Hinter einer schützenden Glaswand schwebt im Museo Reina Sofia in Madrid das monumentale Bild scheinbar schwerelos im Raum, und die wahre Größe des Bildes lässt sich nur erahnen. Ein anderes Beispiel: Es ist ein riesengroßer Unterschied, ob man die „Grablegung des Grafen Orgaz“ von El Greco als Postkarte in der Hand hält, oder man vor dem Original in Toledo den Kopf weit in den Nacken schieben muss, um überhaupt das ganze Bild wahrnehmen zu können, weil es offensichtlich den Blickwinkel sprengt und daraus seine überwältigende Wirkung erzielt.
Zuletzt staunte ich über die großzügige Schwarz-Weiß-Malerei von Tobias Pils in der Kunsthalle Krems, der gleichsam den Ausstellungsraum uminterpretierte und der sich dort mutig über alle Regeln der aktuellen Kunstszene wandfüllend hinwegsetzt. Sehenswert!

Wolfgang Stifter