Jutta Pointner – Die Verbindung aller Dinge

Im Februar eröffnete das Museum Angerlehner die große Retrospektive der Bildwirkerin Jutta Pointner anlässlich ihres 40-jährigen Webjubiläums. Mehr als 40 Bildteppiche sind in der großen Ausstellungshalle bis zum 30. August 2020 zu sehen. In einem Interview spricht Jutta Pointner über ihren Werdegang, die Bedeutung von Kunsthandwerk und über ihre wesentlichen Themen, die sie verarbeitet.


Jutta Pointner – Die Verbindung aller Dinge 


Im Februar eröffnete das Museum Angerlehner die große Retrospektive der Bildwirkerin Jutta Pointner anlässlich ihres 40-jährigen Webjubiläums. Mehr als 40 Bildteppiche sind in der großen Ausstellungshalle bis zum 30. August 2020 zu sehen. In einem Interview spricht Jutta Pointner über ihren Werdegang, die Bedeutung von Kunsthandwerk und über ihre wesentlichen Themen, die sie verarbeitet.

In dieser Personale finden sich mehrere Bereiche aus dem Leben der Künstlerin ins Textile umgesetzt. Pointners Serien und Werke weisen so klangvolle Namen auf wie „Rolle und Eigensinn“, „Traum- und Seelenbilder“, „Trauer und Ängste“, sowie „Feine
Sphären“. Die Bildteppiche sind vielschichtig aufgebaut, haben tiefgründige Botschaften und sprechen den Betrachter direkt an, da sie aus der Tiefe der menschlichen Daseins kommen.

Die Künstlerin zeigt auch im literarischen Feld eine besondere Ausdruckskraft und wurde ihre literarischen Schöpfungen vom Land Oberösterreich im Jahr 1980 ausgezeichnet.

Museum Angerlehner: Die ersten Lebensjahre hast du im Mühlviertel verbracht und lebst auch jetzt in Haibach ob der Donau. Was verbindet dich mit dieser Landschaft und was inspiriert dich?

Jutta Pointner: Die Gesteinsformationen des Granits, der Böhmerwald, das Leben und Wirken meiner Vorfahren, die ernste, etwas melancholische Schönheit der Hügellandschaften und abfallenden Steilhänge bis an die Donau, beeinflussten meine Sicht- und Empfindungsweise, meine Vorliebe zu Stille und Natur und zum Weben.

Die Webkunst ist ja eine der ältesten Kulturformen der Menschheit, die im Kunstbereich erst in den letzten hundert Jahren wieder gebührende Anerkennung erhielt.

Weben ist Kultur. Wir sind umgeben vom Textil. Wir kennen die gewebten Muster von Decken und Tüchern, Bildern und Teppichen aus den Jurten im Altai, der Nomaden aus Wüstenregionen oder der Ägypter oder aus China.

Im Mittelalter verwebten Frauen in deutschen Kaiserpfalzen Leinenfäden zu groben oder feinen Stoffen für die Hemden der Ritter. Im Webhaus saßen sechs bis acht Frauen beim Takt des Webschiffchens, das sie durch die Kettfäden gleiten ließen. Später, zur Zeit
der Technisierung, in der man begann, Stoffe maschinell herzustellen, wurde diese Aufgabe zur Domäne des Mannes. Berühmt wurde das Bilderweben in Flandern. In Gent gab es Manufakturen, in welchen die Herrscher riesige Bilderzyklen von
Schlachten und Kriegszügen – wie der Schlacht um Troja herstellen ließen.

Welche Bedeutung hat deiner Meinung nach Kunsthandwerk für die Menschen?

Von November 2012 bis Jänner 2016 machte ich vier Nordseereisen. Es zog mich zum Meer in dieser Gegend, in welcher ich Seebüll und das Leben und Werk Emil Noldes kennenlernte. Er lernte in der Jugend die Schnitzkunst und renovierte den Altar in einer Kirche in Flensburg. In diesem Zusammenhang gewann ich nochmal Einblick in die Bedeutung der handwerklichen Fähigkeiten für den Menschen. Und ebenso durch Aussagen Oskar Kokoschkas, der dieses Thema in einer seiner letzten Reden drastisch anspricht, nämlich, dass im Verlust des Handwerks die menschlichen Sinne verkümmern. Er meint sogar, dass dann die Apokalypse nahe. Der Mensch, der nicht berührt, kann nicht begreifen, kann nicht berührt werden.

Welches Thema verarbeitest du in deinen Bildern?


Alles was mich umgibt und was an Thema innerlich in mir auftaucht, kann zum Stoff für meine Bilder werden. Dazu gehört der Mensch im Kosmos auf seiner Reise. Ich greife die Fäden auf und verweben diese zu den ewig bleibenden Themen der Menschheit: Entstehen, Überleben, Lieben, Sehnen, Vergehen. Ob alleine ausgeliefert oder geführt von einer schöpferischen, göttlichen Instanz. Für mich ist dies ein Auftauchen und Absinken, ein Erscheinen und in den Hintergrund treten der Garne beim Fachwechsel.

Wie entsteht ein Werk bzw. wie gehst du bei deiner Arbeit vor? Hast du zuvor schon ein Konzept oder eine Skizze?

Wenn ein Bild in mir entsteht, halte ich es in einer Skizze fest. Anschließend stelle ich alle Garne zusammen, die ich farblich dafür benötige. Mein Werkzeug ist der Webstuhl, nicht der Pinsel. Ich appliziere das Bild nicht auf eine Oberfläche, sondern baue es Faden um
Faden auf ‑ aus einer Art innerem lyrischen Antrieb. Das Bild entsteht aus einer inneren Schau, bis es sich Linie um Linie zu einem Gesamtgefüge ergibt. Im Prozess des Webens ‑ wie im gewebten Bild ‑ zeige ich das Sensible aller Verbindungen, die Zusammenhänge der Fäden, sowie symbolhaft, die aller Gegebenheiten und Dinge.

Die Arbeit an deinen Teppichen ist sehr zeitintensiv und dauert unterschiedlich lang: von zwei bis drei Monaten bis zu beinahe einem Jahr. Wie weißt du, wann ein Bild zu einem Abschluss kommt?

Wenn ich nach meinem Wissen und Gefühl das innere Bild in eine materielle Form bringe, ist es fertig gestellt. Ich webe von einem sogenannten Beginn bis zu einem sogenannten Ende ‑ in Wahrheit sind es Ausschnitte eines nie endenden Bildes. Um ein Betrachten zu
ermöglichen, durchtrenne ich das Gewebte in Teile und bereite diese zu Bildern.

Deinem Stil und der Webkunst bist du seit mehr als 40 Jahren treu geblieben. Deine Werke sind einerseits abstrakt und zeigen andererseits figurative Elemente. Dabei kommen auch Formationen aus der Natur vor. Wovon lässt du dich für deine Bildsprache beeinflussen?

Das kann ein Lächeln, ein Weltgeschehen, eine Erinnerung, oder die Natur sein. Ich suche nach geheimen Codes, nach Mustern und Bewegungen aus dem das Leben wächst und vergeht. Ich beobachte die Ähnlichkeit der Spiralformen von Tierhörnern, Muscheln und dem menschlichen Ohr sowie der Vogelfeder mit den lanzettenförmigen Blättern.

Eine große Bedeutung in deinem Oeuvre haben die Frauen- und Tierbilder.

Die Frauen- und Tierbilder weisen trotz unterschiedlicher Darstellung oftmals auf verwandte oder erwünschte Wesenszüge beziehungsweise Eigenschaften zwischen der Frau und dem Tier hin.

Erzählen diese auch aus deinem Leben?

Es handelt sich dabei meist um Selbstdarstellungen in bestimmten Lebensphasen mit besonderer Resonanz zu einem Tier.

Im Bild "Früher Abend" von 1985 türmt sich die monumentale Schlange vor der Frau am grünen Haus. Was einmal die autoritäre Überwachung aus der Kindheit darstellt und bedeutet ein anderes Mal die Schlange mit ihrer wandelbaren Kraft.

Die "Frau im Garten" von 1987 lebt in einer Einheit zwischen Blumenbeeten und Tätigkeiten.

1988 folgen die Bilder "Die Sprache und ich" ‑ wir bewegen uns in der Sprache und die Sprache bewegt uns. Dabei lernen wir uns besser im Klang der Worte verstehen ‑ und "Frau mit Vogel und Gedanken ans Meer". Vögel machen weite Reisen mit pochenden Herzen, ihre Bewegung in der Natur symbolisiert Freiheit.

1989 entsteht das großformatige Exponat "Auf die Liebe warten" ‑ eines meiner Hauptwerke: Die Liebe herbeisehnen, die körperliche, seelische, universelle Liebe – die Liebe aus dem Herzen.

Im Werk "Mondhund" 1991 ruht die Frau ‑ umgeben von Fisch, Wolf und Blüten ‑glückselig in sich.

In "Es war einmal" von 2004 läuft eine Frau aus der Bildfläche. Eine Geschichte geht zu Ende oder sie beginnt.

"In memoriam" aus dem Jahr 2008 ist ein Gedenken an die, die ich sein wollte.

"Frau mit gelbem Rad" 2016 hält Ausschau und Einkehr, auch eine Retrospektive. Was ist das Geschenk des Lebens.

Dr. Helmuth Ecker beschreibt dich im Katlog „Magischer Schild“ als jemanden der sich zwischen Rolle und Eigensinn bewegt.

Ich erlebte mich in einem großen Spannungsfeld zwischen Rolle und Eigensinn, zwischen verpflichtender Ordnung und Befreiung. Die Rolle als Kind mit den Eltern, die Rolle als Mutter mit den Kindern, die Rolle als Frau in Beziehungen und der Gesellschaft und vor allem die Rolle, welche andere durch ihre Sichtweise, ihre Bewertung zuspielen – aus dieser Rolle wollte und will ich mich immer wieder entfesseln.

Du beschäftigst dich nicht nur mit der Natur, den Naturwesen, dem harmonischen Zusammenleben zwischen Mensch und Natur, sondern zeigst auch die Schattenseiten in deinen düsteren Bildern der Trauer und Ängste auf.

In diesen Arbeiten bringe ich die Sorge und Angst über die negativen Kräfte im Menschen, den Raubbau an der Erde, die Herabwürdigung der Lebewesen, ebenso das seelische Leid zum Ausdruck. Diese Bilder sind ein engagierter Aufruf gegen Zerstörung der Lebensgrundlagen, gegen Massentierhaltung und Massenschlachtung von Lebewesen, die ihr Dasein in einer dumpfen, angsterfüllten Atmosphäre fristen.

Hier kommen neben Wolle und Garne auch andere Materialien zum Einsatz.
1985 webte ich das zweiteilige Werk "Sonne aus Plastik ‑ Licht aus Zwentendorf" und "Leid der Tiere". Nicht im Hinblick auf perfektes Weben ‑ mehr noch ging es um die Bewältigung des Materials in diesen Jahren. In einem Bild verwende ich in Streifen geschnittenes Plastik zum Weben der Sonne und der Dampfwolken der AKWs. In "Leid der Tiere" verwebte ich Fellstreifen und Tierpfoten.

In deinen Werken verwendest du oft viele Farben, die ein harmonisches Ganzes bilden. Während sich andere Arbeiten jedoch durch die düstere Stimmung und den Einsatz von sehr dunklen Farben auszeichnen.

"Sterbeklänge" sowie "Ich und das Traurige" aus dem Jahr 1987 sind düstere Bilder. In letzterem öffnet die Frau das Fenster eines schwarzen Wohngebäudes und tritt dann vor die Tür.

In "Das ist meine Wunde ‑ aber meine wirkliche Wunde ist viel tiefer" von 1988 durchkreuzen schwarze Linien und Straßen einen dunklen Hintergrund auf dem Fische schwimmen und vor dem sich Menschen wie Seiltänzer bewegen. Gemeint ist neben der Zerstörung und Ausbeutung der Erde auch ein tiefes eigenes Leiden und Ringen. Im Jahr 2002 entsteht ein Hauptwerk: "Nicht Sonne ‑ nicht Mond" ist eine Widmung gegen den Krieg und für alle, die in Kriegen Leid erfahren haben sowie für den eigenen Vater und seinen Lebensretter.


Jutta Pointner


  • wurde 1956 in Linz geboren, aufgewachsen im Mühlviertel, war Gasthörerin an der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz und an der Theologischen Hochschule Linz.
  • Seit 1975 Atelier in Haibach ob der Donau für Webkunst und literarische Veröffentlichungen
  • 1980 Talentförderungsprämie für Literatur des Landes OÖ,
  • Intensive Auseinandersetzung mit Ontologie, Mystik, Schamanismus sowie mit der Lebensweise und den Zeremonien der Indianer Nordamerikas
  • 1985 Preis des Landes OÖ für Textile Kunst zum Thema Zukunft


Bildrechte  ©Alois Bumberger, ©Herbert Pointner und ©Museum Angerlehner